„Ich muss doch nach Hause!“ (Archiv)

Demenz in den Blick nehmen

Fotoinstallation von Ludger Müller, 2.6.–15.7.2022 im AkA-Showfenster*

Eröffnung: Do. 2.6., 18:30 Uhr

Ludger Müllers Fotoinstallation „Ich muss doch nach Hause!“ ist sein Versuch, sich künstlerisch /gestalterisch in das Empfinden seiner an Demenz erkrankten Mutter, die inzwischen verstorben ist, einzufühlen. Bei ihr gab es wie bei fast allen an Demenz Erkrankten Sehnsüchte, die nur hätten erfüllt werden können, wenn ihre Vergangenheit zur Gegenwart geworden wäre.

Das AkA präsentiert im Showfenster in Borken-Weseke die Fotoinstallation „Ich muss doch nach Hause!“, vier Kombinationen von Fotos und damit verbundene Objekte, in denen Ludger Müller einen Ausschnitt des Themas Demenz in den Blick nimmt. Er offenbart dabei Merkmale und Erfahrungen, die andere Angehörige und Begleitende von an Demenz Erkrankten so oder ähnlich erfahren könnten. Die Ausstellung ist daher auch eine Einladung zum gegenseitigen Austausch über ein Thema, das in der Öffentlichkeit noch mehr Beachtung finden sollte.

Zur Eröffnung am Donnerstag, den 2.6.2022 um 18:30 Uhr laden wir herzlich ein.

Zur Einführung wird es die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Ludger Müller und Stefan Demming (AkA) geben.

Das AkA-Showfenster ist täglich vom Bürgersteig aus sichtbar, abends bis 23 Uhr beleuchtet, Ausstellungsdauer: bis Mitte Juli. *Adresse: Hauptstr. 20, 46325 Borken-Weseke; Kontakt: mail@aka-anders.de

Ludger Müller (Jg. 1955, lebt in Borken) hat u. a. Kunst für das Lehramt sowie Kulturmanagement studiert und in den sich daraus ergebenen Berufsfeldern gearbeitet. Er fotografiert seit seinem Studium zu verschiedenen Themen, gerne auch experimentell. Seine Fotografie nennt er augenzwinkernd „fotografische Selbstgespräche“. Gelegentlich macht er sie öffentlich.

Über das aktuelle Projekt schreibt Ludger Müller selbst:

„Die Fotoinstallation „Ich muss doch nach Hause!“ mit ihren vier Fotokombinationen, Familie, Freunde, Beruf, Heimat, war einer der Versuche, mich als Sohn und Betreuer mit der Fotografie in meine jetzt verstorbene Mutter einzufühlen. „Ich muss doch nach Hause!“ war eine ihrer großen Nöte. Zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter weit über 90 Jahre alt geworden, konnte nur in ihrem Pflegerollstuhl fortbewegt werden und ihre Erkrankung an Demenz war weit fortgeschritten.

Jeweils das erste Foto der Fotokombinationen zeigt die untätigen Hände meiner Mutter, die einst eine emanzipierte, energische, zupackende Frau war. Die zweiten Fotos versuchen auf das zu verweisen, was meine Mutter in bestimmten Momenten verunsichert oder bewegt haben mag: Familienfotos, Gespräche, Speisen, Orte.

Die dritten Fotos stammen aus ihren Fotoalben und zeigen ihre möglichen undeutlichen Erinnerungsspuren. Zuerst ihre Familie. Links auf dem Foto scheint Platz für ihren viel zu früh verstorbenen Bruder zu sein. Dann meine jungen Eltern mit ihren besten Freunden beim Campen. Anschließend meine Mutter früh in ihrem Beruf als Hauswirtschaftslehrerin und schließlich der Blick aus der ersten Wohnung meiner Eltern in ihrer gemeinsamen Heimatstadt mit der Straße hinaus in die Welt, die sie damals immer erkunden wollte und hat.

Der Violinenkoffer gehörte dem Vater meiner Mutter. Er spielte Violine nur im Kreis der Familie. Der Koffer ist leer, weil es die Violine und damit ihr Spiel nicht mehr gibt. Der Akkordeonkoffer gehörte zum Akkordeon meiner Mutter. Musik war eine ihrer Leidenschaften. Auch die ist nur noch vage Erinnerung. Die Wachsblöcke sind all die eingeschmolzenen Kerzenreste von Familienfeiern der mehr als zehn zurückliegenden Jahre, an denen meine Mutter teilnahm, an die sie aber keine Erinnerung mehr hatte.

Dieses Verlangen nach ihrem Zuhause hätte ich nur erfüllen können, wenn die Vergangenheit meiner Mutter, in der sie sich glaubte, zur Gegenwart geworden wäre. Das Aufeinanderprallen unsere beiden Welten von Vergangenem und Gegenwärtigem, führte zwangsläufig für sie, aber auch für mich, zu unvermeidbaren Enttäuschungen. Die konnten nur durch mich mit versuchtem Verstehen sowie Einfühlen und nicht durch sie gemildert werden. Mein Akzeptieren der Demenz und das Mildern durch Einfühlen verhalfen uns zu positiv aufgeladene Situationen, die Demenz keineswegs nur negativ erleben ließ. Es übertrug sich auch auf meiner Mutter nahe Personen.“

Ankündigung in der Borkener Zeitung